Wer Agilität verstehen will, muss sich mit ihrem Ursprung beschäftigen. Denn viele der heutigen Methoden, Prinzipien und Begriffe lassen sich erst dann richtig einordnen, wenn man ihre Wurzeln kennt. Tatsächlich ist Agilität keine vollkommen neue Idee. Schon lange vor dem Boom der agilen Bewegung wurde in der Organisationstheorie über Begriffe wie Flexibilität, Anpassungsfähigkeit oder dezentrale Strukturen diskutiert. Doch mit dem Aufkommen agiler Methoden und dem sogenannten „Agilen Manifest“ hat sich ein eigenständiges Verständnis von Management und Zusammenarbeit etabliert, das über klassische Flexibilitätskonzepte hinausgeht.
Lean Management als Wurzel agilen Denkens
Viele Impulse der agilen Bewegung lassen sich bis zum Lean Management zurückverfolgen – einem Ansatz, der seinen Ursprung in der frühen Automobilproduktion hat, insbesondere bei Toyota. Ziel des Lean Managements ist es, Werte ohne Verschwendung zu liefern. Alles, was nicht dem Kunden dient, gilt als vermeidbar. Dieser Gedanke wurde durch die Idee des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses und der Dezentralisierung flankiert: Verantwortung wird in die Teams gegeben, die näher am Kunden und am Produkt sind.
Auch die Führung als Dienstleistung (Servant Leadership) und eine offene, lernorientierte Unternehmenskultur finden sich im Lean-Denken. Doch es gibt auch Unterschiede: Während Lean primär auf die Optimierung von Serien- und Massenproduktion zielt, entstand Agilität im Projektumfeld, insbesondere in der Softwareentwicklung – einem Bereich, der von hoher Unsicherheit, Individualität und Veränderung geprägt ist.
Die Softwarekrise und der Ruf nach einem neuen Denken
In den 1990er Jahren litt die Softwarebranche unter einer tiefen Krise: Projekte waren verspätet, überteuert oder scheiterten komplett. Auf diese Komplexität wurde mit mehr Prozessen und mehr Dokumentation reagiert. Das sogenannte Wasserfallmodell, das Softwareentwicklung in streng sequenzielle Phasen unterteilt, war das dominierende Paradigma. Doch es zeigte sich immer deutlicher: Die Prozessgläubigkeit führte zu unflexiblen Strukturen, frustrierenden Arbeitsbedingungen und wenig erfolgreichen Projekten.
Martin Fowler, einer der späteren Mitbegründer der agilen Bewegung, nannte das Ergebnis dieser Überorganisation den „Almighty Thud“: eine Bürokratie, die mehr Last als Nutzen erzeugte. Der berüchtigte CHAOS Report bestätigte dies: Nur ein Bruchteil der Projekte war erfolgreich, viele wurden abgebrochen.
Die Geburtsstunde: Agile Methoden und das Manifest
Als Reaktion auf diese Missstände begannen Entwicklergruppen damit, leichtere und anpassungsfähige Methoden zu entwerfen: Scrum, Extreme Programming (XP), Crystal, Adaptive Software Development u. a. Diese „lightweight methods“ fanden schnell Anklang in der Entwickler-Community, waren aber noch unverbunden.
Im Februar 2001 trafen sich 17 Vordenker in Utah zu einem informellen Austausch. Das Ergebnis war ein Dokument, das die agile Bewegung begründen sollte: das Agile Manifesto. Darin legten sie vier Grundwerte fest, die eine neue Haltung in der Projektarbeit verkörperten:
- Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
- Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
- Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung
- Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans
Diese Werte beschreiben nicht nur Entscheidungsrichtlinien, sondern auch ein agiles Mindset: Offenheit, Pragmatismus und kontinuierliche Lernbereitschaft.
Interessant ist auch die damalige Namensdebatte: „Agil“ setzte sich gegen „adaptiv“ durch. Beides beschreibt zentrale Aspekte des neuen Denkens: Agilität steht für das Wie (beweglich, flexibel), Adaptivität für das Was (Kurswechsel bei Bedarf).
Vom Manifest zur Bewegung
Nach dem Treffen in Utah wurde das Agile Manifest in der Softwarewelt schnell zum Referenzpunkt. Es folgten weiterentwickelte Methoden, große Konferenzen, ein stetig wachsendes ökonomisches Interesse – und der Übergang von Agilität als reines IT-Thema zu einem breiteren Organisationsprinzip.
Die nach dem Manifest entwickelten 12 Prinzipien – wie z. B. kontinuierliche Lieferung, enge Zusammenarbeit, selbstorganisierte Teams oder der Fokus auf Einfachheit – machten klar: Es geht nicht um Tools, sondern um eine grundlegend andere Sicht auf Zusammenarbeit und Wertschöpfung. Agilität wurde damit zu einem Kulturmodell, das heute in vielen Branchen als Antwort auf Volatilität und Komplexität gilt.
Wie geht es weiter?
In einem der nächsten Beiträge schauen wir uns genauer an, welche Werte und Prinzipien hinter der agilen Bewegung stehen – und was sie für eine exzellente Praxis bedeuten.
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